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Prinzessin Nirgendwo

 

Es war einmal eine unscheinbare, graue Burg in einem unscheinbaren kleinen Wald. Niemand kannte die Burg und keiner wusste, wer sie vor langer, langer Zeit errichtet hatte.

Wenn auch einmal ein Wanderer oder ein Pilzsammler vorüber kam, so übersah er die Burg trotzdem. Denn sie war vollkommen überwuchert mit Ranken und Efeu, so dass sie vom Wäldchen nicht zu unterscheiden war.

Die Burg hatte keinen Herrn und keine Herrin, nur einige unscheinbare Wächter zogen gleichmütig und gedankenverloren ihre Runden hoch oben bei den Zinnen, ohne jedoch zu wissen, was sie eigentlich bewachten. Aber das war den Wächtern eigentlich auch gleichgültig. So verging Tag um Tag. Es geschah nichts und auch das war den gleichmütigen Wächtern ganz und gar gleichgültig.

Dann begab es sich jedoch eines Tages, dass zwei Frauen das Wäldchen betraten und direkt vor den Toren der Burg ihr Lager aufschlugen. Sie entfachten ein Feuer, kochten ein wärmendes Süppchen und sangen und lachten die ganze Nacht.

Die Wächter bemerkten die Frauen wohl, aber sie interessierten sich nicht weiter dafür. Denn sie gingen davon aus, dass sie am nächsten Morgen weiterziehen würden.

Doch auch am nächsten Tag blieben die beiden Frauen bei ihrem Lager. Sie sammelten einige Kräuter und Pilze und kochten sich erneut ein schönes Mahl. Und auch in dieser Nacht loderte das Feuer und Gesang und Gelächter drangen durch das Wäldchen und zur Burg hinauf. So ging es auch in der nächsten Nacht und noch viele weitere Nächte!

Alsbald wurden die gleichmütigen Wächter doch neugierig und sie riefen zu den Frauen hinunter:

Heh Ihr Frauen! Was wollt Ihr hier in unserem Wald?“

Da antwortete die ältere der beiden: „Wo ist die Prinzessin? Gebt sie heraus!“

Die Wächter sahen sich ratlos an und meinten, sich verhört zu haben. Darum fragten sie erneut: „Was sucht Ihr hier bei unserer Burg?“

Nun antwortete die jüngere der beiden Frauen:  „Gebt uns die Prinzessin heraus, nun macht schon!“

Verwirrt stammelten die Wächter: „Aber hier gibt es weit und breit keine Prinzessin, nirgendwo! Woher sollen wir denn eine nehmen?“

Nun meldete sich wieder die Ältere: „Habt Ihr das denn wirklich vergessen? Habt Ihr Eure Herzen wirklich so fest verschlossen, dass keine Erinnerung an Eure Prinzessin mehr herausdringt? Kehrt in Euch und erinnert Euch an die Zeiten des Glücks und der Freude in Eurem Land!“

Die Wächter waren plötzlich gar nicht mehr gleichmütig! Erschrocken und aufgeregt beratschlagten Sie, was sie mit der Forderung der Frauen anfangen sollten. Sie versuchten sich angestrengt zu erinnern. Erinnern an eine schöne Zeit, wie die Ältere gesagt hatte. Aber ihnen fiel nichts ein. Also wendeten sie sich wieder an die Frauen: „Es gab hier niemals bessere Zeiten und hier ist nirgendwo eine Prinzessin! Wenn Ihr uns nicht glaubt, kommt herein und überzeugt Euch selbst. Wir haben nichts zu verbergen!“ Mit diesen Worten öffneten sie das eingerostete Burgtor, das wohl schon hundert Jahre nicht mehr geöffnet worden war.

Die beiden Frauen traten ein, jede eine brennende Fackel in der Hand, die ein warmes, tanzendes Licht auf die kleine Gruppe scheinen ließ. Raum für Raum durchschritten die Frauen und die Wächter die Burg, ohne irgendjemandem zu begegnen. Überall herrschte Dunkelheit und eine feuchte Kälte kroch ihnen schon bald in die Knochen.

 

Unterdessen regte sich tief unter der Burg im tiefsten aller Kerker etwas. Prinzessin Nirgendwo hatte etwas gehört und spürte, dass etwas anders war als sonst. Das ängstigte sie und sie drückte sich noch etwas fester in ihrer Ecke an den kalten, harten Stein. Die Kälte war ihr vertraut und spendete ihr etwas Trost. Dennoch war sie wachsam.

 

Weiter  oben gaben die beiden Frauen nicht auf und suchten weiter nach der verschwundenen Prinzessin. Sie leuchteten mit ihren Fackeln in alle Ecken und Winkel der Burg und kamen dabei Stück für Stück dem Kerker näher. Die Wächter begleiteten sie wortlos. Mit jedem Schritt kehrte bei  ihnen ein Stück Erinnerung zurück. Aus den einzelnen Bruchstücken entstand schließlich ein Bild und plötzlich wussten sie es wieder: Es gab eine Zeit vor dieser Zeit, in der Glück und Freude in ihrem Land herrschten. Die Prinzessin sang und tanzte über die Wiesen, war fröhlich und spielte und lachte viel mit anderen Kindern. Doch dann geschah ein großes Unglück und alle Freude und alles Glück verschwanden aus dem Königreich. Die Prinzessin wurde auf eigenen Wunsch im Kerker eingeschlossen und nach und nach gab es immer weniger Licht und Wärme auf der Burg. Die Jahre vergingen und ganz langsam geriet die Prinzessin in Vergessenheit.

 

Prinzessin Nirgendwo wurde mit den nahenden Schritten immer unruhiger. Auch zu ihr kehrten einzelne Erinnerungen zurück. Ihr war schlimmes Leid zuteil geworden und so sehr sie sich auch bemühte, das Unheil abzuwenden, es gelang ihr nicht. Sie schien das Böse geradezu anzuziehen. Aus diesem Grund hatte sie sich als kleines  Mädchen dazu entschlossen, unsichtbar zu werden. Zunächst hatte sie es mit Lumpengewändern versucht, die Haare kurz geschoren und das Gesicht mit Asche und Schmutz geschwärzt. Aber auch das hatte nichts geholfen, das Böse fand sie und suchte sie weiterhin heim. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als im Nirgendwo zu verschwinden. Sie ließ sich in den tiefsten aller Kerker sperren, bei schwärzester Dunkelheit und größter Kälte. So konnte sie niemand mehr sehen oder die Wärme ihres Körpers erahnen. Bis zum heutigen Tag…

 

Die zwei Frauen und ihre Begleiter erreichten endlich die schwere, eiserne Tür zum Kerker. Der Schein einer Fackel schimmerte sanft durch das Schlüsselloch in die Kammer der Prinzessin. Diese erschrak zutiefst, wendete sich ab und kauerte sich in eine Ecke ihres Gefängnisses, hatte sie doch seit ewigen Zeiten kein Licht mehr gesehen!

Die Wächter fanden einen Schlüssel zum Verlies und öffneten die ächzende Tür. Nun drang noch mehr Licht in den Raum und die Prinzessin verschloss ihre Augen, so fest sie nur konnte. Die beiden Frauen begannen nun, leise und beruhigend auf die Prinzessin einzureden. Sie baten sie, doch herauszukommen. „Prinzessin, so kommt doch ans Licht! Es wird Euch wärmen und guttun und Ihr müsst nie wieder in der Dunkelheit leben!“, so sprachen sie. Das klang wirklich sehr verlockend für die Prinzessin, sie mochte die Kälte nicht. Doch hatte sie auch große Angst vor dem Licht. Trotzdem wagte sie sich ein kleines Stück fort aus ihrer sicheren Ecke. Sie blickte zur geöffneten Tür und wurde sogleich geblendet von den Fackeln, so dass sie sich schnell wieder umdrehte. Furcht packte sie, denn nun sah sie einen großen dunklen Dämon an der Wand tanzen und sie weinte bitterlich. Da trat die jüngere der beiden Frauen hervor. Sie war eine Priesterin und hatte erkannt, was die Prinzessin ängstigte: weil das Mädchen dem Licht den Rücken gekehrt hatte, sah sie im flackernden Schein des Feuers ihren eigenen Schatten! Sie betrat den kleinen, kalten Raum und stellte sich zwischen die Prinzessin und ihren angsteinflößenden Schatten. Sie holte einen magischen Spiegel hervor und hielt ihn der Prinzessin hin, so dass diese sich in sanftem, goldenem Licht sehen konnte. Die Prinzessin blickte lange in den Spiegel und wusste zunächst nicht recht, was sie mit dem Bild, das sie da sah, anfangen sollte. Doch plötzlich erkannte sie es: im Licht erkannte sie sich selbst! Da fing sie an zu schluchzen und zu weinen und zu schreien, denn sie wusste nun um alles, was sie verloren glaubte! Sie weinte um die Zeit, die ihr in ihrem Gefängnis geraubt worden war und um die Kindheit, die ihr verloren schien.

Da nahm sie die ältere Frau, eine große Heilerin, behutsam an der einen Hand und die Priesterin nahm die andere Hand. Sie führten sie langsam durch die Tür aus ihrem Gefängnis in das warme Licht der Fackeln. Und von dort begleiteten sie das Mädchen Schritt für Schritt immer weiter ins Licht. Sie ließen der Prinzessin die Zeit, die sie brauchte, um sich langsam an Licht und Wärme zu gewöhnen. Und schließlich erreichten sie gemeinsam das Burgtor und traten hinaus in die Sonne. Große Freude durchflutete da die Prinzessin, die vor langer Zeit ins Nirgendwo geflohen war. Und sie sang und tanzte über die Wiese und weinte vor Glück. Sie ließ die Mauern ihrer Burg bunt bemalen und Musik erklang aus allen Winkeln und Ecken.

Und weil sie nicht gestorben ist, so lebt sie wohl noch heute…

 

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